God Hand

god hand / clover studio / capcom 2006

Gene und Olivia. Mann und Frau. Sie kommen in eine verlassene Stadt, wie einem Western entnommen. Sie streiten sich darum, wer von ihnen mehr sexy ist. Dann verprügelt Gene ein paar Schläger. Gene fällt das leicht, denn er ist im Besitz der God Hand. Leider wollen finstere Dämonen die God Hand in ihren Besitz bringen. Sie werden angeführt von Belze, einem ganz schön schlimmen Schurken, Fat Elvis, einem notgeilen, fetten Perser, und Shannon, einer dominanten Zicke.

Folgendes Szenario ist vorstellbar: Bei Clover arbeitet man an Okami. Eines Abends besaufen sich die führenden Köpfe des Studios gerade in der lokalen Kneipe und kommen auf die Idee, einen 3D-Prügler zu machen. Aber er soll etwas anders sein. Um das zu gewährleisten, werden in den nächsten Tagen sämtliche Drogen konsumiert, die für Menschen verträglich sind. Im Rausch konzipiert man nun einmal die völlig behinderte Story von God Hand. Vielleicht hören die Angestellten zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal von Capcoms Absichten, das Studio dichtzumachen. Infolgedessen überlegt man sich, die Story um fünfhundert Prozent bekloppter zu machen, denkt sich die abgefahrensten Charaktere aus und konsumiert dabei noch mehr Drogen.
Als alle wieder nüchtern sind, macht man sich an die Gameplaymechaniken des Spieles. Und so entsteht, mir nichts, dir nichts, eines der besten Actionspiele auf der PS2.


(Links: Manche Attacken schleudern Gegner auch mal aus 20m gegen die Wand. | Rechts: Hoden sind in God Hand ein beliebtes Angriffsziel.)

Klar: Gegen die Production Values eines God of War hat God Hand mit seiner kargen Levelgeometrie, den sehr kleinen Spielarealen und der beinahe völligen Abwesenheit irgendwelcher Effektfeuerwerke nichts auszusetzen. Trotzdem war dieses letzte Werk der Clover Studios für mich der weitaus spaßigere Titel. Warum?

Da wäre das bereits in der Storyzusammenfassung angedeutete Setting und die Charaktere. God Hand spielt in einer Welt aus Anime, Satire westlicher wie fernöstlicher Popkultur und postapokalyptischem Wahnsinn. Eine kranke Mischung, die nie aufhört zu betonen, Teil eines Videospiels zu sein. In einer Zeit, in der bei Spielen immer alles realitätsbezogener sein muss, kommt God Hand mit diesem Setting daher, dass einem Arcadeautomaten der frühen Neunziger entsprungen sein könnte. Herrlich. Man begegnet in den äußerst abwechslungsreichen Locations Zirkusgorillas in pinker Unterwäsche, gewalttätigen Rockstars und Ninjazwergen, die sich für die Power Rangers halten. Bei Clover bzw. beim Lokalisationsteam hat man vor Anspielungen nirgendwo Halt gemacht. Das dürfte spätestens klar sein, wenn man dem Giant Enemy Crane-Midboss begegnet oder beim Chihuahua-Wettrennen auf einen Hund namens “Massive Damage” setzen darf.

God Hand versprüht so einen unglaublichen Charme, jongliert mit Humor, welcher nie aufdringlich oder platt ist sondern immer verrückt genug, um einem auch in der gefährlichsten Situation ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern. Für sich genommen ist die Story für die Tonne. Aber genau darin liegt eben die Stärke. Es dieser Vibe zwischen Trash, Coolness und “Meine Fresse, wer denkt sich sowas bitte aus?”, der God Hand zu etwas ganz Besonderem macht. Das letztendliche Sahnehäubchen ist dann die geniale Musik von Killer 7-Komponist Masafumi Takada, der hier Filmthemes der 60er und 70er, Rock und Kirmesmusik äußerst clever vermengt.


(Links: Wer einmal warmgeworden ist, den lässt dieses Spiel so schnell nicht wieder los. | Rechts: Eine “God Reel”-Technik in Aktion.)

Das alles bringt natürlich nix, wenn das Gameplay nicht stimmt. Bei God Hand stimmt es. Und wie. Was eigentlich nicht verwundert, so hat doch Shinji Mikami himself (Resident Evil, Devil May Cry) die Entwicklung betreut. Das Spiel ist ein Prügler mit Besonderheiten. Man kann sich seine Attacken nämlich im Menü zu jeder Zeit selbst zusammenstellen. Im Laufe des Spiels sammelt man Techniken oder kauft sie im Shop mit in den Stages gefundenem Geld. “High Kick”, “Uppercut”, alles ist dabei, aber es gibt auch klangvollere wie “Granny Smacker” und “Pimp Hand”. Diese lassen sich dann auf eine Handvoll Buttonkombinationen legen. Es gibt für jede Situation die richtige Technik und Angriffschain, Experimentierfreudige haben hier die Nase vorn.

Ebenfalls ungewöhnlich: Die Kamera. Sie ist fix an Gene gekoppelt und sehr nah an ihm dran. Am Anfang gewöhnungsbedürftig und scheinbar unnötig steif, später lernt man es zu lieben. Mit L1 wirbelt Gene um 180 Grad herum. Und wer die Kamera in eine Wand dreht, wird merken, dass der entsprechende Teil der Wand einfach radikal ausgeblendet wird. Aus ästhetischer Sicht vielleicht nicht gerade die beste Lösung, doch der Spielbarkeit hilft das enorm. Es gab, während ich spielte, nicht eine Situation, wo die Kamera Probleme machte. Bei einem Spiel wie diesem eine bemerkenswerte Aussage, finde ich. Für den Fall, dass sich trotzdem mal eine verwirrende Situation ergeben sollte, haben Clover aber auch noch ein Radar spendiert.

Nicht zu vergessen: Das God Reel, aktivierbar mit R1, lässt eine besonders starke Attacke los, “Divine Smash” etwa. Naja, oder auch “Ball Buster”. Wer es durch genügend Prügelei geschafft hat, seine Tension Bar aufzubauen darf dann endlich die Godhand aktivieren und ordentlich Arsch treten. Doch Vorsicht: Wer zuviel Arsch tritt, steigt einen Level auf und muss mit stärkeren Gegnern rechnen.


(Links: Von Typen mit großen Hämmern sollte man sich fernhalten. | Rechts: Diese Herren könnten Cho Aniki entsprungen sein.)

All diese Features sind unverzichtbar, God Hand ist nämlich ziemlich schwer – selbst auf Easy. Doch das im positiven Sinne. Die ersten anderthalb Stunden waren für mich noch ein echter Krampf. Aber dann habe ich begonnen, die Feinheiten des Kampfsystems zu kapieren – Ausweichen ist wichtig, hier bieten sich mehrere Möglichkeiten; Kontern, Guardbreaker nutzen. God Hand ist ein Spiel, mit dem man erstmal warm werden muss. Es wird auch sicherlich Leute geben, die das nicht schaffen. Aber wenn man das geschafft hat, dann rockt es einfach nur. Alles ist perfekt balanciert. Gegnerstärke und -anzahl, Itemverteilung, Länge der Levels. Bosse? Schwer, aber nie unfair.

Einziges Ärgernis sind die Dämonen. Sie erscheinen gelegentlich aus besiegten Gegnern heraus und sind eine harte Nuss. Sie bieten eine zusätzliche Herausforderung…und treiben den Adrenalinspiegel in die Höhe, wenn man gerade am Ende eines Areals mit einer Fingerdicke HP in der Lifebar den letzten Gegner getötet hat und dann entsetzt feststellen muss, dass da noch ein Dämon kommt. Selbst wenn der einen um die Ecke bringt – die Areale sind nie besonders groß, die Motivation zum erneuten Versuch ebbte bei mir nie ab.

God Hand ist vor allem ein Geschenk an den alteingesessenen Hardcore-Zocker. Aber auch an all jene, die wieder Lust auf kreatives Spieldesign haben. Schade also, dass dieses kleine Meisterwerk ziemlich unterging und zum weiteren Nagel im Sarg des Clover Studios wurde. Trotzdem hat sich eine kleine Fangemeinschaft um das Spiel gebildet. Zu der ich mich nun auch zählen würde. So bleibt nur noch zu sagen: God Hand erfordert viel Geduld und Offenheit. Wer sich dennoch darauf einlässt, wird belohnt.

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